Die Anklage war monströs und der Vorwurf schwer. Selbst das auf Wirtschaftsstrafsachen spezialisierte Landgericht Augsburg hatte selten in einer solchen Dimension verhandelt. Und dennoch gelang es nach 25 Hauptverhandlungstagen und einem Jahr Untersuchungshaft, das Strafverfahren gegen unseren Mandanten eingestellt zu bekommen und ihn aus dem vermutlich noch monatelangen Strafverfahren herauszulösen.
Die Staatsanwaltschaft hatte ihm sowie acht weiteren Angeklagten vorgeworfen, eine europaweite kriminelle Vereinigung gegründet und mit ihr gewerbs- und bandenmäßige Umsatzsteuerhinterziehungen in gewaltigem Ausmaß begangen zu haben. Im Rahmen eines sog. Umsatzsteuerkarussells sei ein Steuerschaden von 115 Mio. EUR entstanden. Allein unser Mandant habe als Mitarbeiter eines bundesweit bekannten Elektronikhändlers einen Schaden von über 5 Mio. EUR zu verantworten. Die Staatsanwaltschaft Augsburg forderte langjährige, für einige Angeklagte sogar zweistellige Freiheitsstrafen.
Ausgangspunkt für ein solches Umsatzsteuerkarussell ist das Recht eines Unternehmers auf den Vorsteuerabzug. Er kann diejenigen Umsatzsteuerbeträge, die er an seinen Lieferanten bezahlt und für die ihm eine ordnungsgemäße Rechnung gelegt wird, gegenüber dem Finanzamt geltend machen, indem er sie von der selbst eingenommenen und abzuführenden Umsatzsteuer abzieht.
Unter Einschaltung von Scheinunternehmen, die ihrerseits die Umsatzsteuer nicht abführen und kurzfristig wieder verschwinden (sog. missing trader), liegt der potentielle Schaden auf der Hand: der Käufer holt sich die gezahlte Umsatzsteuer vom Finanzamt zurück, die der Verkäufer nie entrichtet. Der Fiskus bleibt auf dem Steuerbetrag sitzen. Um dies zu verschleiern, werden Händler oder Speditionsunternehmen dazwischengeschaltet (sog. buffer). Dieselbe Ware kann sogar mehrfach denselben Weg durchlaufen, wenn sie an einer Stelle wieder verbilligt wird, z.B. dann, wenn sie an eine Firma im EU-Ausland umsatzsteuerfrei verkauft wird (sog. innergemeinschaftliche Lieferung) und von dort wieder zurück nach Deutschland gelangt. Sie „dreht sich“, weshalb man von einem Umsatzsteuerkarussell spricht.
In mühevoller Kleinarbeit und mit Hinweis auf die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Ge-richtshofes (EuGH) im Umsatzsteuerrecht sowie des Bundesgerichthofes (BGH) zur Steuerhinterziehung gelang es dem Verteidiger, Herrn RA Andrej Klein, jedes einzelne Indiz der Staatsanwaltschaft für eine vermeintliche Mitwirkung des Mandanten an dem Umsatzsteuerbetrug zu widerlegen:
Die Ware wurde von ihm nicht an vorher feststehende Abnehmer zu einem feststehenden Preis verkauft. Er verkaufte vielmehr an diverse Großhändler und über tausend Endkunden. Bei jedem Großgeschäft fanden intensive Preisverhandlungen statt. Die Ware wurde im Lager genauestens registriert und auf Beschädigungen untersucht. Vermeintlich betrugsrelevante Markierungen wie Stempel oder UV-Kennzeichen stellten sich als handelsüblich und völlig legal heraus. Es gab weder eine persönliche Bereicherung des Mandanten, noch flossen umsatzabhängige Prämien. Auch tausende abgehörte Telefonate sowie sichergestellte Mails und Skype-Protokolle konnten die Behauptungen der Staatsanwaltschaft nicht belegen, der Mandant sei Mittäter einer Umsatzsteuerhinterziehung, Bandenmitglied oder gar Mitglied einer kriminellen Vereinigung. In Fällen, in denen bemakelte Ware im Unternehmen auftauchte, habe der Mandant dies nicht erkennen können, sodass ihm der Gutglaubensschutz der neueren Rechtsprechung beim Vorsteuerabzug zur Seite stand. Wer nicht weiß, dass etwas faul und sein Unternehmen in eine Betrugskette eingebunden ist, kann dafür auch nicht bestraft werden.
Und wieder zeigte sich, dass steuerliches Fachwissen im Strafverfahren wertvoll und gigabyte-schweres Aktenstudium wichtig ist, um einen Mandanten vor einer drohenden, langjährigen Haftstrafe zu bewahren.