Im Jahr 2023 hat eine öffentliche Hauptverhandlung vor dem Landgericht Leipzig für Aufsehen gesorgt, weil der aus einer Netflix-Serie („How to sell drugs online fast“) und einer Doku bekannt gewordene sog. „Kinderzimmerdealer“ erneut wegen eines gleichartigen Vorwurfes vor Gericht stand. Die juristische Fachwelt hat jedoch insbesondere ein Thema interessiert, das einen anderen Angeklagten, nämlich einen mitangeklagten Rechtsanwalt und Strafverteidiger betraf – ein sogenanntes Beweisverwertungsverbot (Legal Tribune Online, 24.02.2023, https://www.lto.de/persistent/a_id/51154/ ). Was war geschehen?
Der Rechtsanwalt war viele Jahre schon der Anwalt und Verteidiger eines der Mitangeklagten. Im Zuge einer Telefonüberwachung gegen seinen Mandanten geriet der Rechtsanwalt nun selbst in den Fokus. Die Staatsanwaltschaft warf ihm im Ergebnis der abgehörten Telefonate vor, selbst Mitglied einer Drogenbande zu sein und klagte ihn zusammen mit dem „Kinderzimmerdealer“ und weiteren Beteiligten an.
Unabhängig davon, dass aus Sicht der Verteidigung der Inhalt dieser Telefonate keineswegs den Vorwurf gerechtfertigt hätte, zielte die Verteidigung durch Herrn Rechtsanwalt Andrej Klein schon im Vorfeld darauf ab, dass diese Telefonate gar nicht hätten aufgezeichnet, gespeichert und anschließend verwertet werden dürfen.
Der Rechtsanwalt hatte den Mitangeklagten bereits seit vielen Jahren und insbesondere als Verteidiger in Strafsachen vertreten. Dies war vor und während der Überwachungsmaßnahmen gegen den mitangeklagten Mandanten sowohl der Staatsanwaltschaft als auch den Gerichten bekannt. Auch der ermittelnde Polizeibeamte wusste anlässlich der Telefonüberwachung, dass es sich um Gespräche zwischen Anwalt und Mandant handelte, weswegen er auch regelmäßig beim Staatsanwalt nachfragte, ob denn diese Gespräche zu löschen seien oder nicht. Der Staatsanwalt verfügte in einigen Fällen die Löschung, in anderen nicht. Zur Begründung hieß es dann, dass die Telefonate nicht das Mandatsverhältnis betreffen würden, also nicht den sog. Kernbereich anwaltlicher Tätigkeit. Nur dieser sei jedoch geschützt. Diese Auffassung ist hingegen unzutreffend.
Rechtsanwälte genießen ein weitgehendes Zeugnisverweigerungsrecht. In § 160 a StPO ist ausdrücklich klargestellt, dass dieses Recht auch Ermittlungsmaßnahmen unzulässig macht, die sich gegen einen Rechtsanwalt richten. Alles, was im Rahmen eines Mandats anvertraut wird, ist vor dem Zugriff des Staates geschützt. Dabei gesteht die Rechtsprechung dem Rechtsanwalt sogar auch dann ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, wenn er nur aus Anlass eines Mandats etwas von seinem Mandanten und dessen Umfeld erfährt. Gleichfalls unterfällt auch die Mandatsanbahnung bereits dem Schutz des § 160 a StPO. Das berufsbezogene Vertrauensverhältnis beginnt nämlich nicht erst mit Unterzeichnung der Vollmacht. Ein Beschuldigter auf der Suche nach einem Verteidiger bringt jedem Rechtsanwalt, mit dem er zu diesem Zweck kommuniziert, typischerweise das Vertrauen entgegen, dass der Inhalt des Gespräches vertraulich behandelt werde – unabhängig davon, ob anschließend ein Verteidigungsverhältnis zustande kommt oder nicht. Die Vorschrift des § 160 a Abs. 1 StPO statuiert ein absolutes Beweiserhebungs- bzw. Beweisverwertungsverbot betreffend bestimmte zeugnisverweigerungsberechtigter Personen. Damit steht fest, dass sämtliche offene und insbesondere auch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen als solche, bei denen Verteidiger betroffen sind, rechtswidrig sind.
Auf den Inhalt des berufsbezogenen Telefonates kommt es nicht an. Insbesondere hängt das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechtes nicht davon ab, dass das in Ausübung des Berufs als Rechtsanwalt geführte Gespräch „inhaltlich-funktionalen Beratungscharakter“ besitzt, eine „mandatsbezogene Beratung“ zum Gegenstand hat oder dem Austausch von Informationen dient, „die eines besonderen Vertraulichkeitsschutzes bedürfen“. Insofern ist auch die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft falsch, es käme auf den Inhalt des Gespräches an, weil es nur dann zu löschen wäre, wenn es „kernbereichsrelevant“ und „erkennbar ein Mandantengespräch“ sei. Mit der Kenntnis, dass einer der Gesprächspartner der Rechtsanwalt des Anderen ist und ein qualifizierter Beteiligungsverdacht gegen den Rechtsanwalt im Sinne des § 160 a Abs. 4 Satz 1 StPO zu diesem Zeitpunkt nicht besteht, verbietet sich bereits ein Aufzeichnen, geschweige denn ein inhaltliches Auswerten des Gespräches. Man darf auch eine Beichte nicht abhören, um anschließend zu entscheiden, ist dies jetzt ein dienstliches Gespräch des Pfarrers oder nicht.
Es wäre auch völlig unverhältnismäßig, über solch elementare Grundsätze den ermittelnden Polizeibeamten selbst entscheiden zu lassen, in dem er sich die Gespräche erst einmal anhört und dann selektiv den Staatsanwalt darüber informiert, was er zum Kernbereich zählt und was nicht.
Es gibt eine Ausnahmevorschrift (§ 160 a Abs. 4 Satz 1 StPO), wonach ausnahmsweise dann abgehört werden darf, wenn zum Zeitpunkt der Maßnahme gegen den Anwalt selbst ein sog. qualifizierter Anfangsverdacht bestanden hätte, dass er also an den Taten beteiligt gewesen könnte. Das war hingegen nicht der Fall, weil die polizeiliche Ermittlungsführerin als Zeugin ausgesagt hatte, dass jegliche Verdachtsmomente gegen den Rechtsanwalt erst aus der Auswertung der Telefonüberwachung stammten. Sie können mithin zu Beginn der Maßnahme nicht vorgelegen haben, so dass diese unzulässig war.
Das Landgericht Leipzig folgte nach monatelanger Verhandlung dieser Auffassung der Verteidigung und sprach den Rechtsanwalt frei (8 KLs 105 Js 34746/19).
Weitere Beiträge zum Strafrecht, Steuerrecht und Verfassungsrecht