Es muss nicht bei jedem Todesfall einen Schuldigen geben. Zumindest im strafrechtlichen Sinne. Mit diesem Fazit endete jetzt nach über vier Jahren ein Strafverfahren in Leipzig. Der Mandant wurde vom Landgericht Leipzig freigesprochen (9 Ns 306 Js 55076/09).
Im Mai 2009 endete eine archäologische Grabung im Leipziger Stadtzentrum mit einem tragischen Todesfall. Nur wenige Stunden vor Beginn der Bauarbeiten für eine Einkaufspassage stürzte eine jahrhundertalte historische Ziegelmauer ein und begrub eine Grabungshelferin unter sich.
Obwohl kein einziger Zeuge über eine Instabilität der Mauer berichtete und die Ursache des Mauersturzes bis zuletzt ungeklärt blieb, hatte die Staatsanwaltschaft schnell einen Schuldigen ausgemacht – den Grabungsleiter des Sächsischen Landesamtes für Archäologie. Auf die Anklage folgte die erstinstanzliche Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Der Archäologe habe den gefährlichen Zustand der Mauer erkennen können. Es wäre seine Pflicht gewesen, Sicherungsmaßnahmen durchzuführen und eine Gefährdung seiner Mitarbeiter auszuschließen.
Gegen diesen Schuldspruch und die vom Amtsgericht verhängte Verwarnung mit Strafvorbehalt legte zunächst die Staatsanwaltschaft mit dem Ziel einer höheren Bestrafung Berufung ein. Auch der Verteidiger RA Andrej Klein beantragte eine zweitinstanzliche Verhandlung und forderte einen Freispruch. Das juristische Problem war hierbei stets klar: der Vorwurf der Fahrlässigkeit.
Wegen fahrlässiger Begehungsweise macht sich strafbar, wer die verkehrsübliche Sorgfalt außer Acht lässt. Hierbei kommt es auf den Maßstab eines vergleichbar Ausgebildeten mit demselben Wissens- und Erkenntnisstand an. Kurz gesagt: Entscheidend ist nicht, wie ein x-beliebiger Dritter, sondern wie eine unbefangener Archäologe an Stelle des Angeklagten gehandelt hätte. Hätte er sich nicht anders verhalten und hätte auch er keine Sicherungsmaßnahmen ergriffen, wäre dem Angeklagten ein strafrechtlicher Vorwurf nicht zu machen.
Im Zuge des Verfahrens kamen zwei Gutachter mit unterschiedlicher Begründung zu dem Schluss, dass einem ausgebildeten Statiker die Instabilität der Mauer hätte auffallen und von ihm entsprechende Gegenmaßnahmen hätten ergriffen werden müssen. Nur hatte der Angeklagte keine solche Ausbildung. Sie gehört – wie Recherchen der Verteidigung ergaben – bei keiner einzigen archäologischen Fakultät einer deutschen Universität zum Lehrplan. Statische Erfahrungen eines Archäologen beruhen vielmehr auf jahrelanger Tätigkeit, verbunden mit Spezialwissen über den Baugrund und die Besonderheiten des jeweiligen Grabungsgebietes. So auch im Fall des Leipziger Archäologen. Niemand hatte mehr innerstädtische Grabungen als er absolviert. Er galt als ausgesprochen erfahren und umsichtig. Seine Grabungsstellen glichen Museen statt Baustellen. Fotos zeigen, wie er selbst noch am Unfalltag über die Mauerkrone ging und deren Zustand prüfte.
Und so blieb es bei der Einschätzung, die der Verteidiger RA Klein bereits zu Beginn des Ermittlungsverfahrens äußerte: nicht bei jedem tragischen Unglücksfall muss es einen Schuldigen geben.