Die Frage, ob eine Straftat durch Notwehr gerechtfertigt ist, stellt sich für ein Gericht viel seltener als allgemein vermutet. Häufig argumentieren Mandanten damit, „sich ja nur verteidigt zu haben“. Notwehr liegt allerdings nur dann vor, wenn man sich in erforderlicher Weise gegen einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff wehrt. Dass diese Voraussetzungen für eine Notwehr hingegen gar nicht so einfach zu begründen sind, zeigt ein Fall, der bereits durch mehrere Instanzen ging.
Ein Mandant hatte mit einem Bekannten gefeiert, bis die Party irgendwann aus dem Ruder lief. Das Ende vom Lied war ein durch mehrere tiefe Schnitte in Gesicht und Armen verletzter Geschädigter und eine Wohnung voller Blut. Tatwaffe sei ein Samurai-Schwert gewesen. Die Version des Geschädigten: der Täter habe plötzlich und ohne ersichtlichen Grund ein Schwert genommen und mehrfach zugeschlagen. Die Version des Mandanten: der Geschädigte habe unvermutet eine Makarov-Pistole gezogen und auf ihn gezielt. Bevor er abdrücken konnte, habe er dem späteren Geschädigten mit einem seiner stumpfen Dekorationsschwerter die Waffe aus der Hand geschlagen.
Der Mandant wurde vom Amtsgericht wegen gefährlicher Körperverletzung zu 2 Jahren 6 Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten bekam er am Landgericht nur noch 9 Monate mit Bewährung. Auf seine Revision hob nun das Oberlandesgericht dieses Urteil auf und verwies die Sache an das Landgericht Dresden zurück. Zu prüfen sei u.a., ob der Mandant freizusprechen oder lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung zu bestrafen ist.
Das Gericht stellte fest, dass die Aussagen des Geschädigten völlig widersprüchlich gewesen seien. Zunächst habe er von einer Pistole gar nichts wissen wollen. Dann hätte es sie zwar gegeben, er habe sie aber nicht mitgehabt. Dann wieder habe er sie auf den Tisch gelegt, ohne damit zu drohen. Später hieß es, dass er sie auch auf den Mandanten gerichtet habe. Das OLG befand nun, dass objektiv eine Notwehrlage nicht vorgelegen habe, weil die Pistole nur eine Gaspistole gewesen sei, die allerdings einer Makarov „täuschend ähnlich gesehen habe“. Es läge jedoch eine sog. Putativnotwehr (Scheinnotwehr) nahe, weil der Angeklagte glauben konnte, dass es sich um eine echte Waffe handelte. Er hatte sich also möglicherweise über die Existenz einer Notwehrlage geirrt. Wenn das so ist, kann er nicht mehr wegen Vorsatzes, sondern allenfalls wegen Fahrlässigkeit, hier also wegen fahrlässiger Körperverletzung, verurteilt werden. Weil er nicht vorbestraft ist, käme dann selbst bei einer Verurteilung wohl nur eine Geldstrafe raus. Wenn „ein verständiger Dritter“ hingegen in dieser Situation genau so gehandelt hätte wie der Angeklagte, entfiele auch eine Fahrlässigkeit. Dann wäre er freizusprechen.