Die Anklage war millionenschwer und der Vorwurf gewaltig. Ein Mandant sollte als Geschäftsführer einer Online-Handelsfirma Umsatzsteuer in Millionenhöhe hinterzogen haben. In großen Wirtschaftsstrafverfahren geht es zunehmend um solche Fälle des Umsatzsteuerbetruges. Ausgangspunkt dafür ist das Recht eines Unternehmers auf den sog. Vorsteuerabzug. Er kann diejenigen Umsatzsteuerbeträge, die er an seinen Lieferanten bezahlt hat und für die ihm eine ordnungsgemäße Rechnung gelegt wurde, gegenüber dem Finanzamt geltend machen, indem er sie von der selbst eingenommen und abzuführenden Umsatzsteuer abzieht.
Unter Einschaltung von Scheinunternehmen, die ihrerseits die Umsatzsteuer nicht abführen und kurzfristig wieder verschwinden (sog. Missing Trader), liegt der potentielle Schaden auf der Hand: Der Käufer holt sich die gezahlte Umsatzsteuer vom Finanzamt zurück, die der Verkäufer nie entrichtet hat. Der Fiskus bleibt auf dem Steuerbetrag sitzen. Um dies zu verschleiern, werden Händler oder Speditionsunternehmen dazwischengeschaltet (sog. Buffer). Dieselbe Ware kann sogar mehrfach denselben Weg durchlaufen, wenn sie an einer Stelle wieder verbilligt und in das EU-Ausland verkauft wird und sodann wieder zurück nach Deutschland gelangt. Die Ware „dreht sich“, weshalb man von einem Umsatzsteuerkarussell spricht.
Einem solchen Vorwurf war der Mandant ausgesetzt, weil er Lieferungen zweier sog. Missing Trader erhalten hatte. Aus Sicht der Steuerfahndung Chemnitz habe der Mandant gewusst, dass er in einen Umsatzsteuerbetrug involviert sei, weshalb ihm das Recht auf den Vorsteuerabzug nicht zugestanden habe. Auch hätte er diese Ware nicht weiterverkaufen dürfen.
Die Rechtsprechung des EuGH lässt die Versagung des Vorsteuerabzuges zu, wenn der Leistungsempfänger weiß oder zumindest hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einer Umsatzsteuerhinterziehungskette beteiligt.
Das Landgericht Chemnitz hat den Mandanten mit Urteil vom 15.12.2022 freigesprochen (Az.: 4 KLs 385 Js 14341/17) und folgte der Argumentation des Verteidigers, Herrn Rechtsanwalt Andrej Klein.
Der Mandant hatte alles ihm Obliegende getan, um den Erwerb bemakelter Ware zu vermeiden. Die Anbahnung der Geschäfte war auf einem branchentypischen Weg erfolgt. Die Geschäftsunterlagen der Lieferanten wurden auf Anforderung zeitnah vorgelegt und von den zuständigen Mitarbeitern im Unternehmen des Mandanten geprüft. Die Lieferanten wurden im System freigegeben. Diese Geschäftsunterlagen lagen auch der führenden Online-Handelsplattform vor, gleichfalls auch einem renommierten Lager, über das die Abwicklung der Lieferungen erfolgte. Unstimmigkeiten sind auch bei diesen Prüfungen nicht aufgefallen, wie Zeugen bestätigten. Auch dort waren die Lieferanten als Geschäftspartner akzeptiert worden. Das Unternehmen des Mandanten hatte auch das bisherige Geschäftsfeld nicht verlassen, war Großhändler in der Elektronikbranche seit vielen Jahren. Die Geschäftsabschlüsse waren üblich, sowohl hinsichtlich der Preise als auch der Mengen. Vorgaben der Lieferanten hinsichtlich der Preise, Mengen oder Lieferketten waren nicht festzustellen. Die Waren sind auch tatsächlich vorhanden gewesen, wurden also nicht nur „auf dem Papier“ bewegt. Die Lieferanten ihrerseits waren werbend am Markt tätig. Sie waren zahlende Mitglieder der führenden Händlerplattform. Die Firmen waren auch auf der Cebit präsent und unterlagen den Sicherheits- und Verifizierungsstandards der Online-Plattform. Das Unternehmen des Mandanten hatte bei einer renommierten Versicherung eine Warenkreditversicherung für die Lieferantenfirmen abgeschlossen. Die Kommunikation mit den Lieferanten erfolgte branchenüblich per Skype. Darüber hinaus wurden die eingegangenen Waren anhand ihrer IMEI-Nummer überprüft. Wurden Auffälligkeiten festgestellt, wurde der Auftrag abgelehnt. Darüber hinaus stand der Mandant als Geschäftsführer in ständigem Kontakt mit dem Finanzamt und informierte über jegliche Unstimmigkeiten.
In Gesamtbetrachtung aller Umstände war dem Mandanten in keinem der angeklagten Sachverhalte nachzuweisen, dass er Kenntnis oder auch nur leichtfertige Unkenntnis davon hatte, dass es sich bei den Lieferanten um sogenannte Missing Trader handele. Das Landgericht Chemnitz sprach ihn frei. Die hiergegen eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft blieb erfolglos.
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