Eine bemerkenswerte Entscheidung fällte jüngst das Oberlandesgericht Dresden (OLG Ausl 111/16). Es hob einen Auslieferungshaftbefehl auf und entließ einen tschetschenischen Mandanten aus der Auslieferungshaft, der von Russland wegen vermeintlicher terroristischer Aktivitäten in Syrien über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben war.
Die Festnahme war im Juni in Dresden erfolgt. Es folgte ein vorläufiger und anschließend ein regulärer Auslieferungshaftbefehl, der einmal verlängert wurde, um den russischen Behörden Gelegenheit zu geben, ihr Auslieferungsbegehren zu begründen und Zusicherungen für eine rechtsstaatliche Behandlung des Mandanten im Falle einer Auslieferung zu geben.
Üblicherweise sind solche Auslieferungen Formsache. Sind die beteiligten Staaten über ein Auslieferungsabkommen miteinander vertraglich verbunden, darf der Staat, in dem der Gesuchte festgenommen wurde, die Gründe für den Auslieferungswunsch des anderen Staates gar nicht prüfen. Man unterstellt die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze und prüft in der Regel nur die Identität und etwaige, allerdings eng begrenzte Auslieferungshindernisse. Dass die Deutschen nunmehr einen russischen Auslieferungsantrag ablehnten und den Mandanten wieder freiließen, ist zwar politisch außerordentlich heikel, aber im Hinblick darauf, was passiert ist, nur konsequent.
Es begann damit, dass der Mandant gegenüber RA Andrej Klein erklärte, nie in Syrien gewesen und sich auch zu keiner Zeit andernorts einer terroristischen oder islamistischen Bewegung angeschlossen zu haben. Er gehöre vielmehr einer ethnischen Minderheit an, die sich in Opposition zum tschetschenischen Machthaber Kadyrow befinde. Hinzu kam, dass er in die russische Armee eingezogen und für die Russen in der Ukraine kämpfen sollte. Er floh in die Türkei. Mit der fingieren Behauptung einer Ausbildung in einem islamistischen Terrorcamp in Syrien erließ die Nachbarrepublik Tschetscheniens einen Haftbefehl und ließ den Mandanten über Interpol weltweit suchen.
Nur durch die akribische Prüfung der russischen Auslieferungsunterlagen gelang es RA Andrej Klein, gravierende Fehler in deren Übersetzung aufzudecken. Aus einem Staatsanwalt war ein angeblicher Verteidiger geworden. Der Ermittlungsführer stellte sich als regionaler Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB heraus. Aufgeschreckt durch derlei Ungereimtheiten verlangte das deutsche Auswärtige Amt nunmehr die Zusicherung der Russen, im Falle einer Auslieferung die Ermittlungen, die Untersuchungshaft, den Prozess und eine etwaige Strafhaft nicht in der Nordkaukasischen Region durchzuführen, in der es nach den aktuellen politischen Lageberichten zu gravierende Menschenrechtsverstößen käme. Die russischen Behörden schickten sodann eine Erklärung, wonach die genannten Maßnahmen nicht in Tschetschenien, sondern in der angrenzenden Republik Karatschai-Tscherkessien durchgeführt würden. Die Generalstaatsanwaltschaft war zufrieden und stellte den Antrag, die Auslieferung für zulässig zu erklären.
Was man jedoch übersehen hatte und nur dem Verteidiger durch eine simple Atlas-Recherche auffiel, war die Tatsache, dass auch die Teilrepublik Karatschai-Tscherkessien in eben jener Nordkaukasischen Region liegt, in der gerade nicht verhandelt werden soll. Erneut wurde das Auswärtige Amt eingeschaltet und erneut eine entsprechende Zusicherung des Russischen Staates erbeten. Nachdem diese trotz wiederholter Mahnungen nicht erfolgte, riss dem Oberlandesgericht der Geduldsfaden. Es gab dem Antrag von RA Andrej Klein statt, den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben. Der Mandant ist ab sofort wieder ein freier Mann.