Das Reizvolle für einen Strafverteidiger ist, mit immer anderen Sachverhalten konfrontiert zu werden und jedes Mal hinzuzulernen. Ein großer Fall aus der Welt des Investmentbankings spielte im Jahr 2021 vor dem Landgericht Halle – groß deshalb, weil der ermittelte Schaden aus einer gescheiterten Unternehmensanleihe ca. 16,1 Millionen Euro betragen haben sollte. Groß aber auch aus regionaler und emotionaler Sicht, war doch eines der traditionsreichsten ostdeutschen Unternehmen betroffen – die Mitteldeutsche Fahrradwerke AG, kurz MiFa. Gefühlt jeder Ostdeutsche hatte mal ein MiFa-Rad besessen. Die MiFa aus Sangerhausen war einer der größten regionalen Arbeitgeber und durchlebte nach der Wende wechselvolle Jahre.
Um als größter deutscher Fahrradhersteller auf dem Weltmarkt bestehen zu können und den beginnenden eBike-Boom zu finanzieren, war 2013 eine Zusammenarbeit mit dem weltgrößten Fahrradproduzenten, der indischen Hero Cycles Ltd. angestrebt worden. Zudem wurden sog. Inhaberschuldverschreibungen („Anleihe“) im Nominalwert von 25 Mio. Euro herausgegeben, die sowohl von institutionellen Anlegern als auch Privatanlegern gezeichnet wurde. Problem war – die Emission soll auf unzutreffenden Unternehmenszahlen basiert haben. Über Jahre hinweg habe man den Bestand an sog. Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen überhöht angegeben, wodurch in einigen Jahren statt eines bilanziellen Gewinnes ein Millionenverlust entstanden war. Das Unternehmen musste wenig später Insolvenz anmelden. Die Anleihe konnte nicht zurückgezahlt werden. Der strafrechtliche Vorwurf gegen den damaligen Unternehmensleiter lautete daher – neben der handelsrechtlichen Falschdarstellung in der Bilanz – auf Betrug in besonders schwerem Fall. Hätten die Anleger die richtigen Zahlen gekannt, hätten sie die Anleihe über insgesamt 25 Mio. Euro nicht gezeichnet und hätten im Zuge der Insolvenz keinen Schaden erlitten. So einfach wie aus Sicht der Staatsanwaltschaft stellte sich der Fall dann aber doch nicht dar.
Die Verteidigung konnte mit Erfolg Zweifel daran nähren, dass die Anleger tatsächlich die Unternehmenszahlen zum entscheidenden Kriterium ihrer Anlageentscheidung gemacht hatten. Das lag zum einen an der damaligen gesamtwirtschaftlichen Situation, aber auch an spezifischen Besonderheiten des Unternehmens. Das Vertrauen der Anleger in diese Geldanlage fußte nicht ausschließbar auf der günstigen Zukunftsprognose der MiFa. Das Unternehmen produzierte hochmodern und automatisiert, der eBike-Markt stand in den Startlöchern, namhafte Auftraggeber waren bereits involviert. Man hatte zwei Markenfirmen integriert. Größter Einzelaktionär war Carsten Maschmeyer, bekannt als erfolgreicher Investor. Interessierte also wirklich das Vorratsvermögen bei der Kaufentscheidung?
Auch die vernommenen Zeugen der institutionellen Anleger wie Fondsmanager und Investmentbanker räumten ein, dass „anderweitige“ Entscheidungsgründe eine Rolle gespielt hätten, die Anleihe trotz ihres hohen Ausfallrisikos gezeichnet zu haben. Das schlechte Rating der Anleihe (BBB -) war bekannt. Die magereren Zahlen der Vorjahre auch. Der hohe Zinssatz von 7,5% war Indiz dafür, dass die MiFa von Banken keinen günstigeren Kredit mehr bekäme und die Liquidität daher angespannt sei. Die Zukunft des Unternehmens war hingegen der wesentliche Faktor. Und die erschien durchaus rosig.
Es gelang dem Verteidiger RA Andrej Klein, den anklagegegenständlichen Vorwurf auf lediglich noch fünf institutionelle Anleger zu beschränken, bei denen aus Sicht des Gerichts nicht ausgeschlossen werden könne, dass man die Anlageentscheidung auch von den Unternehmenszahlen der letzten Jahre abhängig gemacht habe. Der strafzumessungsrelevante Schaden reduzierte sich damit auf ca. 1,6 Mio. Euro. Obwohl damit die sog. Millionengrenze überschritten war, ab derer eine Bewährungsstrafe nach der BGH-Rechtsprechung nur aufgrund besonderer Umstände möglich sei, gelang es der Verteidigung, genau diese Umstände noch herauszuarbeiten. Der Mandant hatte mit seinen größten Gläubigern bereits eine außergerichtliche Schuldenbereinigung durchgeführt. Die Tat lag mehr als 8 Jahre zurück. Zudem war der Gesundheitszustand des Angeklagten schlecht und eine Verhandlungsfähigkeit nur noch eingeschränkt gegeben. Das Landgericht verurteilte den Mandanten – wie von der Verteidigung beantragt – zu einer Bewährungsstrafe.
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